»Die Welt unter einem Dach«
Im Jahre 1872 trat Mr. Phileas Fogg in Begleitung seines
Dieners Passepartout eine abenteuerliche Reise um die Erde
an, die bekanntlich in achtzig Tagen zu bewältigen war.
Im selben Jahr, in dem der berühmte Abenteuer- und
Science-Fiction-Autor Jules Verne seinen Roman »Reise
um die Erde in 80 Tagen« stattfinden ließ1, wurde
in Bremen eine »Ethnographische Ausstellung«
eröffnet. Die Initiatoren, Angehörige der
Historischen Gesellschaft und des Naturwissenschaftlichen
Vereins zu Bremen, wollten mit diesem Vorhaben in der
Öffentlichkeit für die Gründung eines
ethnographischen Museums werben.

Das Vorhaben wurde ein voller Erfolg. Mehr als 2.500
ausgestellte Objekte lockten in nur sieben Tagen 4.297
Besucher an. Achtzehn Jahre später folgte ein noch
größeres Ereignis: 1890 öffnete die
Nordwestdeutsche Gewerbe- und Industrie-
ausstellung im Bremer Bürgerpark ihre Pforten. Dem
damaligen Zeitgeist entsprechend, die Weltausstellungen in
Paris und Chicago nachahmend, demon-strierte man den Stand
der Technik (deren neueste Errungenschaften übrigens
auch in Jules Vernes Romanen eine wichtige Rolle spielen).
Teil der großen Ausstellung war die Handelshalle, in
der neben Einfuhrprodukten aus Übersee Demonstration
des weltweiten Handelsnetzes Bremer Kaufleute auch
länder- und völkerkundliche Informationen in Form
naturgetreuer Arrangements dargeboten wurden. Wie zuvor
schon auf den Weltausstellungen oder in den Hagenbeckschen
Völkerschauen (Hamburg) zeigte man keineswegs nur
Objekte, sondern auch deren lebendige Erzeuger und Benutzer,
zum Beispiel vier Birmanesen, die man eigens zur
Schaustellung nach Bremen geholt hatte. Das Echo auf die
Handelsausstellungen gab schließlich den Anstoß,
alle natur-, völker- und handelskundlichen Sammlungen
in einem Museumsneubau dauerhaft auszustellen.

Am 15. Januar 1896 konnte der erste Direktor Hugo
Schauinsland das »Städtische Museum« am
Bahnhofsplatz eröffnen. Sein Motto:
»Die Welt unter einem Dach«. Wissenschaft und
»öffentliche Belehrung«, dargeboten in
anregenden Erlebniswelten (wie man sie heute bezeichnen
würde) bescherten dem Museum seinerzeit die
Vorreiterrolle im internationalen Ausstellungswesen. Die
Vorstellungen des Hugo Schauinsland - nomen est omen -, die
das Grundkonzept des Museums bis heute bestimmen, erweisen
sich nach hundert Jahren noch als so zeitgemäß,
daß es nicht verwunderlich ist, daß das
Übersee-Museum von heute weiterhin Anziehungspunkt
für Besucher von nah und fern ist. Tatsächlich ist
das aus den - zu 95 Prozent magazinierten - Beständen
des Museums rekrutierte Themenangebot so breit, daß
kaum ein Interessensgebiet ausgespart ist. Die einmalige,
typische Kombination der Völker-, Natur- und
Handelskunde, seit Ende der siebziger Jahre in einem
integrierten Ausstellungskonzept präsentiert,
entspricht dem wieder aktuell gewordenen ganzheitlich
geprägten Nachdenken über die gegenseitigen
Abhängigkeiten »Mensch - Natur - Umwelt -
Technik«2
Seit mehr als 15 Jahren werden naturkundliche,
völkerkundliche und kunsthistorische Fragestellungen
unmittelbar mit den aktuellen Vorgängen in den
sogenannten Entwicklungsländern verknüpft. Die
Auseinandersetzung mit außereuropäischer Kunst
gestern und heute bietet Schnittstellen zu Kunstmuseen und
Musikinstitutionen, die Entwicklung des Kommunikationswesens
in der Handelskunde solche mit Technikmuseen, und
schließlich macht die Darstellung gefährdeter
Tiere und Pflanzen auf akute Probleme rund um den Globus
aufmerksam.3
(Abb. Japanischer Garten des Übersee-Museums, im
Hintergrund ein Shinto-Schrein. »Die durch den
Zen-Buddhismus beeinflußten Gärten (Landschafts-
und Steingärten) dienen zuallererst der Meditation. In
einer Atmosphäre aus Felsen, Bäumen, Sand und
Wasser soll sich der Mensch an der Schönheit der Natur
erfreuen, seinen Geist in der Abgeschiedenheit schulen und
sein Bewußtsein erweitern. Die Anlage im 2. Lichthof
ist frei den Landschaftsgärten Kiotos, der alten
Kaiserstadt, nachempfunden.« Aus: Menschen, Meere,
Kontinente, vgl. Fußnote 3.
1 Der Roman erschien erst im folgenden Jahre.
2 So lautet übrigens auch das Motto der Expo 2000 in
Hannover.
3 Leicht geänderte Fassung des Textes »Eine Reise
um die Welt in 80 Minuten« von Viola König,
Vorwort des Bandes Menschen, Meere, Kontinente, Viola
König (Hg.), München/Berlin 1996
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