Vorwort
DACAPO widmet sich dem Abenteuer Gegenwart in musikalischer
Hinsicht und kann seit mehr als einem Jahrzehnt hochrangige
Künstlerinnen und Künstler aus allen Kontinenten
dafür gewinnen, einem breitgefächerten Publikum
zeitgenössische Musik spartenübergreifend und
unmittelbar zugänglich zu machen. In den
Konzertprogrammen finden sich neben abendländischer
E-Musik auch improvisierte Musik, neuer Jazz und ebenso die
Musikkulturen und -traditionen der Welt. DACAPO steht
für die Einheit in der Vielfalt von Musik und Menschen
dieser Erde und befindet sich damit in Opposition zu den
Vielfalt auf Einfalt reduzierenden, spaltenden Kräften
der Gesellschaft.
Im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten, in denen
ausschließlich zeitgenössische Musik gehört
wurde, ist man sich der Komplexität musikalischer
Gegenwart heute allgemein kaum bewußt und begegnet dem
Unerhörten eher zufällig, zumeist in medial
gebrochener Form. Das verfügbare Potential an
tonträgergespeicherter Musik der Zeiten und Kulturen
steigt exponentiell an wie die Welle von sekundärer
Literatur, wohingegen gleichzeitig (politisch offenbar in
Kauf genommen) die bislang schon nicht häufigen
Gelegenheiten zu schwinden drohen, in denen ungewohnte Musik
überhaupt live gehört werden kann - gespielt von
körperlich und geistig anwesenden Menschen für
ebensolche.
Insofern sie offen für Neues, Andersartiges, Fremdes,
bisweilen Abwegiges sind, dienen DACAPO-Veranstaltungen als
Vehikel für Kreativität, Experiment und
innovatives Denken. Sie schärfen die
Wahrnehmungsfähigkeit und stellen in Zeiten der
Vorherrschaft des Sekundären bildschirmhafter
Zweidimensionalität die multidimensionale
Primärerscheinung entgegen. Chemische, biologische,
soziale, ökonomische und andere Systeme können
sich in der Regel nur
regenerieren und selbst erhalten, wenn sie integrations-,
entwicklungs- und sprungfähig bleiben. Um Regeneration
sozialer Systeme kann nur geistig gerungen werden. Doch
sang- und klanglos drohen im gegenwärtigen politischen
Klima die komplexen Formen verlorenzugehen, innerhalb derer
Entwicklung ermöglicht werden könnte;
korrumpierend wirkt der Druck des »freien«
Marktes, gleichmacherisch die auf Konsum und
Verdrängung gerichtete Kultur-Großindustrie,
fatal die Unachtsamkeit öffentlicher
Verantwortungsträger.
Die zukunfts- und identitätsstiftende Suche nach Utopie
läßt sich per se nicht in das Korsett des schnell
zu erwirtschaftenden Profits zwängen. Sie bedarf - auch
im intellektuellen Sinne - Investivkapitals, bevor es zu
einem return on investment überhaupt kommen kann.
Investive Mittel für kontinuierliche
Kulturaktivitäten in erhöhtem Maße
bereitzustellen, sollten die ökonomisch und politisch
Handelnden des drittreichsten Landes der Erde angesichts der
vordringlichen Bedeutung dieses Sektors für die
gesellschaftlichen Langfristeffekte eigentlich begierig
sein. Doch das genaue Gegenteil ist derzeit der Fall.
DACAPO jedenfalls verschreibt sich nach wie vor als
professionelle und gleichwohl gemeinnützige
Konzertgesellschaft der Aufgabe, geistige Lebensräume
zu realisieren und jedem Menschen zugänglich zu machen
(und nicht nur denen, welche die ohne staatliche
Investitionen nötigen DM 100,- pro Konzertkarte
zweifellos aufzubringen imstande wären).
Das Kontinuum von vierzig bis fünfzig jährlichen
DACAPO-Veranstaltungen spiegelt lebendige Musik unserer
Gegenwart wider, in all ihrer vielfältigen,
abenteuerlichen und oft widersprüchlichen
Schönheit. Diesen Zielen kommt seit Ende 1994 der
Partner und Veran-staltungsort Übersee-Museum in
geradezu idealer Weise entgegen. Die faszinierende
Atmosphäre der durch ein melanesisches Hüttendorf,
ein japanisches Teehaus mit Steingarten, ein Biotop und
viele weitere wunderbare und absonderliche Exponate
geprägten Lichthöfe des Gebäudes, die
zentrale Lage und die konzeptionelle Nähe eines living
museum begünstigen den Transfer der Inhalte, für
die DACAPO längst überregional zum Begriff
geworden ist.
Wie kann diese kulturpolitische Idealkonstellation, wie kann
die Arbeit der Institution, die ich 1985 gründete und
seitdem leite, den Bremerinnen und Bremern weiter erhalten
bleiben? - DACAPO dokumentiert derzeit Leistungswillen unter
unmöglichen Umständen und führt
hartnäckig Utopien vor die Sinne seines wachsenden
Live-Publikums.
Schließlich einige Hinweise zum Aufbau des Buches
piano adventures selbst, das in Nachfolge des inzwischen
vergriffenen DACAPO-Bandes nie wieder kunst. dacapo1
erscheint: Die im ersten Teil nachzulesende Sammlung
prägnanter Komponistenbiographien und Werkkommentare
mag dem Leser als Begleiter durch die klavieristische
Abenteuerreise des famosen Pianisten Herbert Henck hilfreich
sein, welche dieser in sechs DACAPO-Konzerten zwischen
dem
30. Juni 1996 und 23. März 1997 im Bremer
Übersee-Museum unternimmt. Die Informationen des
zweiten Teiles dienen vor allem dem Nutzer des
DACAPO-Archives, geben einen kurzen Überblick über
die Aktivitäten der Institution und deren Umfeld, sind
informatives Nachschlagewerk und zugleich Register der
Archivbestände. Der dritte Teil, die am Buchende
einzulegende Querschnitts-CD mit Live-Aufnahmen aus dem
Klavierzyklus, folgt dem bewährten Konzept der CD
silent pieces und ist wie diese eine Jahresgabe, die den
DACAPO-Förderkreismitgliedern gratis zukommt.2
Mein ganz herzlicher Dank gilt zuallererst Herbert Henck
für seine unverzichtbare, hervorragende, stets
konstruktive, minutiöse und im allerbesten Sinne
lehrreiche Mitarbeit am ersten Teil des Buches. Ebenso danke
ich sämtlichen Autoren und Verlagen, auf deren
Pu-blikationen wir freundlicherweise zurückgreifen
durften, dem Künstler Harald Falkenhagen für die
liebevolle Gestaltung, der Klavierfabrik Bösendorfer in
Wien und Klaviere Backhaus in Bremen, den Inserenten, allen
guten Geistern, die hier ungenannt blieben und nicht zuletzt
meiner Familie für ihre große Geduld mit
DACAPO.
Eine spannende Lektüre und viele phantastische
DACAPO-Konzerte wünscht Ihnen
Ingo Ahmels
Bremen, 30. Mai 1996
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